Corona bedroht KMU

NZZ am Sonntag | 22. März 2020 | Albert Steck

Für viele Kleine geht es jetzt um die Existenz: Eine halbe Million Firmen haben weniger als zehn Angestellte. Diese sind besonders auf die Unterstützung des Bundes angewiesen.

Für Regina Bürli wäre es ein Freudentag gewesen: Diesen Donnerstag ist die restliche Lieferung ihrer neuen Kollektion eingetroffen. 340 edle Ledertaschen im Wert von 200 000 Fr. stehen nun in ihrem Laden - und warten vergeblich auf Käufer. Seit 2007 führt Bürli ihr eigenes Label Ana Blum. Sie designt die Lederwaren und produziert sie mit langjährigen Partnern.

Auf den Regalen stehen die Taschen adrett in Reih und Glied. Doch ohne Kunden wirkt der Laden im Zürcher Seefeldquartier gespenstisch still. Sorgen um die eigene Existenz verscheucht Bürli. Das sei nicht der Moment, um den Kopf hängen zu lassen. «Wichtig ist jetzt, dass ich die Lieferanten fristgerecht bezahlen kann», sagt sie. Sonst breche ihr Produktionsnetz zusammen.

Hinzu kommen die hohen Fixkosten, besonders die Miete für das Lokal. Mit der Verwaltung verhandelt sie über eine Reduktion. Für ihre Angestellte hat sie zudem Entschädigung für Kurzarbeit beantragt. Am Freitag hat der Bund beschlossen, dass auch Bürli als Geschäftsführerin Kurzarbeit anmelden kann - immerhin ein Lichtblick. Doch das unternehmerische Risiko bleibt: Den Umsatzausfall wird ihr niemand vergüten.

«Drei Monate lang kann ich durchhalten, danach wird es kritisch», sagt die 54-Jährige. Viele Selbständige und viele Betriebe stehen vor der gleichen Herausforderung: Sie befürchten ein Grounding, wenn ihnen der Staat nicht unter die Arme greift. Die kleinen Unternehmen stemmen nach wie vor einen grossen Teil der Schweizer Wirtschaft. Zwei Drittel, das entspricht 390 000 Firmen, haben höchstens zwei Angestellte. Weitere 150 000 kommen auf drei bis neun Beschäftigte. Die Kleinen trifft die Corona-Krise nun mit voller Härte.

Im Gegensatz zur Finanzkrise vor zehn Jahren: Damals waren in erster Linie die Grossbanken und der Finanzplatz tangiert. Doch diesmal kommen die Gewerbler unter die Räder: die 30 000 Restaurants, 15 000 Coiffeursalons, 500 Blumengeschäfte sowie viele weitere Branchen. Ihre Einnahmen sind abrupt auf null gesunken. Warten und hoffen bleibt ihr einziges Mittel.

Vor allen anderen wurde die Eventbranche von der Krise erfasst. Grössere Veranstaltungen sind schon seit Ende Februar verboten. Die betroffenen Firmen fungieren als Kanarienvogel im Bergwerk: Geht ihnen die Luft aus, so dürften weitere Sektoren wenig später ein ähnliches Schicksal erleiden.

Auch unter den Eventveranstaltern hat es viele gewerbliche Betriebe mit wenig Reserven. «Die Konkurrenz war schon immer hart. Doch jetzt wird es für viele sehr ernst: Es geht ums Überleben und unsere Existenz», sagt Markus Walder, Mitinhaber der Firma Bright Entertainment. Er rechne damit, dass sich bis Ende April die ersten Konkurse anbahnen.

STORNIERUNGEN MÖGLICHST VERMEIDEN

Bright Entertainment als Agentur für Live-Kommunikation existiert seit 17 Jahren und zählt namhafte Konzerne, Hotels und Verbände zu seinen Kunden. Doch jetzt läuft nichts mehr. Auch die Akquisition von neuen Geschäften sei nahezu unmöglich. «Die grösste Herausforderung in unserer Branche ist die Liquidität», sagt Walder. Denn beim Grossteil des Geldes auf dem Konto handelt es sich um Anzahlungen für geplante Events. Kommt es nun zu einer Stornierung, so können die Auftraggeber diese Beträge zurückfordern.

«Darum ist für uns entscheidend, dass die Kunden ihre Anlässe lediglich verschieben - notfalls auf ein unbestimmtes Datum», erklärt der Unternehmer. Dank treuen Kunden sei das seiner Agentur gut gelungen. Trotzdem bleibe die Lage enorm schwierig: «Im Moment können wir den Stillstand meistern. Doch bis zum Sommer müsste die Krise vorbei sein.»

«Die Corona-Krise hat eine riesige Kettenreaktion ausgelöst. Und die Spirale dreht weiter: Kann jemand nicht mehr zahlen, fällt das sofort auf die anderen zurück.»


Für jedes Projekt arbeitet Walder mit einer Vielzahl von Lieferanten und Freischaffenden zusammen. An diese hat er bereits vor dem Stopp Zahlungen geleistet. Damit entsteht ein Dominoeffekt: Wird ein Anlass gestrichen, muss er einen Teil dieses Geldes mühsam zurückfordern. Wie gering die Reserven bei vielen sind, zeigt eine Erhebung der Gewerkschaft Syndicom. Von 1200 befragten Selbständigen erklärt die Hälfte, dass sie mit ihren Mitteln maximal zwei Monate über die Runden kommen.

Allein diese Woche sind beim Bund Anträge auf Kurzarbeit für 200 000 Angestellte eingegangen. Und die Zahl wird weiter stark steigen. Lohnempfänger erhalten auf diesem Weg immerhin 80% des früheren Salärs. Zudem gibt der Bund den Selbständigen neu die Möglichkeit, ein Taggeld von maximal 196 Fr. zu beantragen. Doch die unternehmerischen Verluste sind damit nicht abgedeckt.

Auch die Kreativwirtschaft leidet stark unter der Krise. Dazu gehören primär gewerbliche Firmen wie Architekten, Werber oder Designer. Die Branche umfasst 170 000 Betriebe mit 570 000 Beschäftigten. «Die Massnahmen des Bundes sind ein guter Anfang», sagt Peter Kurath, Präsident des Verbands der Schweizer Kreativwirtschaft. Dank dem Programm mit Notkrediten sei die Liquidität vorerst gesichert. «Auch die UBS erhielt im Eiltempo einen Zuschuss von 60 Milliarden.»

BEDROHTE ALTERSVORSORGE

Doch mehr Schulden seien für die KMU letztlich keine Lösung, betont Kurath. «Ob ein Architekt oder Coiffeur das Geld nun dem Vermieter schuldet oder dem Staat, macht für ihn keinen Unterschied. Und selbst wenn er seine Kredite jetzt verdoppelt, kann er nach der Krise nicht doppelt so viele Aufträge annehmen.» Deshalb brauche es vom Staat eine Entschädigung, um den Ertragseinbruch zumindest teilweise zu kompensieren.

Markus Walder von Bright Entertainment bezeichnet die Kreditgarantie des Bundes als nützliche Hilfe. Auch der geplante Zahlungsaufschub für die Beiträge an die Sozialversicherung verschaffe seiner fünfköpfigen Agentur zusätzliche Luft. Er setze alles daran, die Arbeitsplätze zu sichern. «Denn unser Geschäftsmodell ist solid, das haben wir über Jahre bewiesen.»

Regina Bürli will die Krise möglichst so durchhalten, dass sie nur einen kleinen Überbrückungskredit braucht. Ein Privatdarlehen für die Firma komme dagegen nicht infrage: «Das würde meine Altersvorsorge gefährden.»

In normalen Zeiten würde Bürli jetzt ihre neue Kollektion entwerfen - das aber ergebe zurzeit keinen Sinn. Solange ihr Geschäft geschlossen bleibt, sucht sie deshalb nach einer Nebenbeschäftigung. Sie habe sich schon bei verschiedenen Stellen gemeldet. «Ich packe gerne an, wo immer Hilfe gebraucht wird.»

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